Dienstag, 30. September 2008

Zwei Arten von Chinesen

Ich habe festgestellt, dass ich in meinem Blog abwechselnd über zwei Arten von Chinesen schreibe. Mal sind es die Chinesen (und chinesische Produkte) aus meiner Kindheit oder Jugendzeit, Mal die von heute, und sie verkörpern zwei verschiedene Ideen. Der Chinese aus meiner Kindheit stand für etwas Originelles. Er war entschieden ein guter Chinese. Der neue symbolisiert die Welteroberung durch Tand. Er ist derjenige, der unsere gewöhnte Lebensqualität mindert. Er zwingt uns nicht dazu, wir liefern uns selber aus. Ich glaube er lächelt nur dabei, wohlwissend, jetzt ist es die Zeit seiner minderwertigen Waren, die wir aus Geldgier kaufen, bald aber kommt SEINE Zeit. Wenn ich ehrlich sein darf, werde ich sagen, ich hoffe, ich werde es nicht erleben. Ich bin schon fast 60 und wie lange soll ein Mensch leben?

Fisch aus China

Es gibt Butterfische. Sie heißen auf Latein Pholidae, gehören zu der Barschfamilie und fassen etwa 13 Arten um. Sie leben in den Küstengewässern der Nordozeane: Pazifik und Atlantik. Butterfische haben einen aalartig schlanken Körper, der beim Kochen weißes, festes, grätenarmes Fleisch hergibt. Daher sind sie, vor allem in Amerika, ein beliebter Speisefisch.

Daher nutzte man gerade diesen Namen, um etwas total anderes auf den Markt reinzuführen. Auf Polnische Tische kamen sie aus China. Sie wurden ryby maślane, eben Butterfische genannt und erwiesen sich als krankheitsschädlich oder gar giftig.
Deutsche Wikipedia schreibt darüber sehr nüchtern und ohne sich zu empören. Interessant. Ich hätte mich empört, weil es sich um einen glatten Betrug handelt.

Unter den Handelsnamen „Butterfisch“ oder „Buttermakrele“ werden seit einigen Jahren auch andere, wesentlich größere und fettreiche Fischarten vermarktet, häufig als Räucherfisch, aber auch gefroren oder getaut. Dabei handelt es sich um die Arten Lepidocybium flavobrunneum (englisch escolar) und Ruvettus pretiosus (Ölfisch), beide zur Familie der Schlangenmakrelen (Gempylidae) gehörig. Sie stammen als Beifang aus der Tiefseefischerei vor der südafrikanischen und südostasiatischen Küste. Das Bundesinstitut für Risikobewertung rät zur Vorsicht beim Verzehr dieser Fische, da in Australien Folgewirkungen wie Durchfall, Erbrechen, Kopfschmerzen und Krämpfe beobachtet wurden, die vermutlich durch die schwer oder gar nicht verdaulichen Wachsester, die 90 % des Öls beziehungsweise Fetts dieser beiden Fischarten ausmachen, verursacht werden. Nach dem Verzehr kann es zu orangefarbenem, öligen Stuhlgang kommen. Sie sind auch wiederholt durch erhebliche Quecksilbergehalte aufgefallen.

Polnische Wikipedia ist viel bescheidener. Sie informiert gar nicht, dass es sich dabei um eine bewusste (und gewinnorientierte, oder?) Namensverwechslung handelt, sagt nur, dass manche Fischarten schädlich sind und rufen Kopfschmerzen und Durchafall hervor.

Na, dann guten Appetit.

Ein Messer

Wenn ich darüber nachdenke, was mich fürs Leben geprägt hat, muss ich unbedingt die Idee eines Messer erwähnen. Sie steht für Einfachheit, die doch Zauber wirken kann. Und es ging um den Zauber. Kulinarisch etwas zu verzaubern, was ein Chinese mit einem großen Messer schafft. Radieschenrosen, Gurkenschiffe, fantasievolle Karottenblumen, schneeweiße Magnolien aus der Mairübe. Wo habe ich gelesen? Keine Ahnung. Ich weiß sogar nicht mehr, ob es in dem Artikel irgendwelche Abbildungen von diesem Zauber gab. In dem Text ging es sogar nicht um den Zauber selbst, sondern um die Einfachheit. Es musste unterschwellig eine politische Botschaft transportieren, dass man nämlich nicht diesen ganzen kapitalistischen Schnikschnak braucht, weil ein Chinese mit einem großen, einfachen Messer alle seine Gerichte zubereitet, und die lassen sich sowohl sehen als auch schmecken.

Ich wuchs in Polen auf, in den Zeiten, als das Kulinarische sehr uninteressant war. Ich werde sogar vermuten, dreifach uninteressant. Politisch, traditionell und familiär. Das Politische bestimmte die Farbe, den Geruch und den Geschmack des Alltags. Das Leben war wenig farbig, dazu noch geruchs- und geschmackslos und ziemlich monoton. Die Kleider waren so, die Lichter in der Stadt, die Zeitschriften und Zeitungen, die Verpackungen, die Schulbücher, die Hefte. Daher waren die chinesischen Radiergummis so besonders. Irgendwie schaffte es die polnische Planwirtschaft alles nur notdürftig herzustellen und in einer Farbe, die - außer selbstverständlich die Fahnen - nie klar oder intensiv war. Alles Farbige war mit einem gewissen Grauton vermischt, alles Weiße - gelblich grau, alles Schwarze - graumatt. Es gab weder Seide noch Taft, weder Satin noch Samt, keine Spitzen, aber auch keine reine Schurwolle, keinen dünnen und glatten Leinen. Sogar Jeans hießen "Szariki", nach dem Namen eines Hundes in der beliebten polnischen Fernsehserie Vier Panzersoldaten und ein Hund. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Besatzung eines Panzers "Rudy" (Rothaarig?) im 2. Weltkrieg - vier Männer und ihr Hund. Eben Szarik. Szarik stammte aus Russland und sein Name bedeutete auf Russisch - ein Kugeliger, aber als der Name ins Polnische und in polnische Fernsehserie transportiert wurde, nahm er die polnische Bedeutung - der Graue. Die Serie war so beliebt, dass man die ersten polnischen Jeans Szarik nannte. Szariki waren grau. Graue Jeans. Der junge W. von Plenzdorf hätte Herzinfarkt gekriegt, wenn ihn sowas als Jeans angeboten würde.
Was das Essen betraf, war die graue Monotonie eigentlich noch schlimmer. Einerseits machte die Politik sowieso eine graue Pampe daraus, andererseits war die polnische kulinarische Tradition sowieso sehr einfaltig - Kartoffel, Fleisch in brauner Soße und Sauerkraut oder saure Gurken. Grausam. Ich mag keine Kartoffel, mir hat das Fleisch nie geschmeckt, ich bin auch kein Freund von sauren Essen. Dazu kam es noch das Familiäre. Meine Mutter war eine Künstlerin und hielt vom alltäglichen Kochen nie viel. Sie kochte immer etwas, was wenn möglich noch grauer, pampiger und grausamer war als das, was die Politik und die Tradition ermöglichten und zuließen. Aber Mama war eben eine Künstlerin. Manchmal befiel sie also eine tiefe Abneigung auf all das Monotone, und dann versuchte sie etwas Interessantes zu kochen. Wenn möglich, war das Interessante noch schlimmer als das Normale. Hühnerfrikasse mit blassen, zerkochten Hühnerfleisch und HAUT! Neapolitanische Suppe - eine graue Brühe mit geriebenem Käse! Gebackene Nieren, jede einzeln in einem dicken Mantel von weißem Fett! Gebratene Sellerie! Fischsuppe. Püriertes, graues Etwas, aus dem kleine tote Fisch-Auglein dich anschauten!! Mir graute es schon alleine beim Gedanken, dass man wieder etwas essen müsste. Was leider niemanden interessierte. Es waren die Zeiten, dass das Kind ohne Murren dies zu essen hatte, was auf dem Tisch stand. Das Kind, das nicht essen wollte, saß am Tisch so lange, bis es endlich aufgegessen hatte. Ich weiß es immer noch, ich sitze am Tisch und im meinem Mund wächst auf eine schreckliche Kugel zermarmelten Fleisches, die sich einfach nicht runterschlucken lässt. So wird man später ein Vegetarier.

Ich darf nicht meckern. In dieser grauer Grausamkeit gab es keine Not, wir hatten genug zum Essen, es war lediglich die Notdürftigkeit, die ich auf längere Frist zu hassen lernte. Und aus der mir die Botschaft eines einzigen Messers rausgeholfen hat. Bis heute kann ich zwar immer noch keine Pfingstrose aus dem Lachsfleisch herzaubern, aber die Idee, dass man gar nicht viel braucht, um etwas zu bewirken, trug mein ganzes Leben lang ihre Früchte.
So entsteht ein Lebensmotto: Man braucht echt wenig, um etwas zu bewirken.

Mittwoch, 24. September 2008

Unkenrufe

1992 erschien ein neuer Roman von Günter Grass - "Unkenrufe". Der Titel bedeutet pessimistische, unheilsverkündende Kritik und ist eine leicht verdeckte science-fiction Story über die Vertreibung und Versöhnung, die im Herbst 1989 beginnt. Die Geschichte entwickelt sich aber anders als es in der Wirklichkeit geschah. Es entsteht ein gutmutiger Projekt einen Versöhnungsfriedhof für Polen und Deutsche zu gründen. Und, wie es immer ist, artet das Gutmutige in sein Gegenteil um. Von einem versöhnlichen Projekt ausgehend, beginnt die totale Übernahme der Stadt Gdansk von den Deutschen. Am Ende ist sie wieder Danzig. Das hat Grass mit den Unkenrufe gemeint. Es war eine Warnung, eine Mahnung an die Deutschen und an die Polen, dass man mit den gesten, die Geschichte machen können, recht sorgsam umgehen soll, weil die Geschichte eine sehr delikate Materie ist. Nur als komischer Nebenstrang der Erzählung entwickelt Grass eine Hypothese, dass die Hindus in Gdansk Fuß fassen werden. Parallel zu Übernahme der Stadt durch die Deutschen entwickelt sich wirtschaftlicher Aufstieg der indischer Minderheit, der mit einer Fahrradrikscha begonnen hat.

Als ich das Buch gelesen habe, entstand in Zoppot der erste chinesische Restaurant. Und ich dachte mir damals, ah ja, der Grass hat hier seiner Liebe zu Indien kund getan, aber er irrt sich - es werden die Chinesen kommen und nicht die Inder. Es waren aber keine Unkenrufe meinerseits. Ich dachte mir auch nichts besonderes dabei. Meines Erachtens war es ein Zeichen der europäischer Normalität. In einem normal funktionierendem Staat vermischen sich halt die Kulturen, und es ist gut so.


Erst jetzt frage ich mich, weshalb ich so blind war? Weshalb wir so blind waren?

Als ich vor ein paar Stunden den Post "Arbeitskräfte" geschrieben habe, stieß ich an eine Straßenumbenennung in Gorzów Wielkopolski (ehemals Landsberg an der Warthe - die Stadt, wo Christa Wolf geboren war). Ulica Zeliwna wurde in Ulica Złotego Smoka (Straße des Goldenen Drachen) umbenannt. Dabei fand ich in Warszawa eine ganze Siedlung, die nur symbolische Chinesischen Namen hat. Es ist halt gut so, oder?
Die Kulturen vermischen sich.

Arbeitskräfte

Seitdem vor ein paar Jahren, auf dem Höhepunkt der xenophobischen Politik beider Kaczynski Brüder 1,5 Millionen Polen nach England und Irland emigrierten, herrscht in Polen ein permanenter Mangel der Arbeitskräfte. Überall sieht man Anzeigen, dass man Maurer, Klempner, Dachdecker, Fliesenleger oder Tischler braucht. Viele in Berlin ansässige Handwerker sind schon längst zurück gewandert.

Zuerst waren es nur Witze, wenn man sagte, "na ja, es werden, halt, jetzt Chinesen kommen." Irgendwann aber kamen sie tatsächlich. In Torun bauten sie eine Fabrik und versuchten polnische Arbeiter für 800,- Zlotys monatlich zu beschäftigen. 800,- Zlotys sind umgerechnet 200,- Euro. Einem Deutschen sagt es vielleicht wenig. Wer weiß, vielleicht sind die da in Polen imstande von 800,- Zlotys monatlich zu leben. Dem ist es aber schon lange nicht so. Die Preisverhältnisse zwischen Deutschland und Polen - einst regelrecht paradiesich - sind jetzt höchstens 1:2. Kindergeld erhalten nur die Familien mit 500,- Zlotys pro Kopf. Sozialhilfe (Arbeitslosenhilfe) beträgt in Polen 551,80 Zlotys, minimaler Gehalt - 845,17 Zlotys.

Dann erzählte man (ja ja, ich weiss, diese zwei Worte, "man erzählte", bedeuten, dass es sich um keine zuverlässige Angaben handelt - ja, so ist es, Zum Thema "Chinesen" gibt es selten zuverlässige Angaben), mehr noch, man schrieb es in der Presse, dass man in dieser chinesischen Fabrik die Chinesen aus China antraf, von denen man behauptete, sie kamen in die Fabrik als ... Touristen!!!

In Gorzów bauen die Tajwan-Chinesen eine Display-Fabrik, wo aber meistens Polen beschäftigt werden. Maximal 90 chinesische Mitarbeiter werden bei dem In-Kraft-Setzen der Fabrik tätig. Die Strasse wo die Fabrik steht wurde schon umbenannt, statt Żeliwna heißt sie jetzt Złotego Smoka - Straße des Goldenen Drachen. Am 15. Mai 2008 berichtete "Gazeta Wyborcza", dass es keine Voraussetzung war, sondern eine Höflichkeitsgeste seitens der Stadt. Aber schon am 17.08.2008 änderte die Redaktion ihre Meinung, dann hieß es, dass die Inwestoren es so wollten. Bei den Taiwaner ist es besser. Minimaler Gehalt betrągt 1250,- Zlotys. Brutto. Also ca. 800,- Zlotys netto, aber 1250 klingt einfach besser.

Im Sommer 2008 fand man nicht weit von Gdansk eine Baustelle, wo ein paar hundert chinesischer Gastarbeiter angestellt waren. Sie lebten wie die Sklawen, untertan nicht nur ihren polnischen Vermittler, sondern auch chinesischen.

Neue Chinesen

Anwesenheit als erster Schritt

Alain de Botton, ein englischer Gesellschaftsphilosoph, schreibt in seinem Buch "Statusangst" (S. Fischer 2004), dass wir gegen die unterschwelligen Botschaften der allgegenwärtigen Behauptungen und Bilder in unserer Gesellschaft nicht so immun sind, wie wir gerne glauben. Und dass Ideologien würden indes schwerlich die Herrschaft erlangen, verrieten sie ihren Anspruch zu deutlich. Das Wesen der ideologischen Behauptungen liegt darin, dass wir sie ohne geschärften politischen Sinn nicht entlarven können. Wie ein farbloses, geruchloses Gas durchdringt die Ideologie der Gesellschaft, schlägt sich in Presse, Werbung, Fernsehen und Lehrbücher nieder. Dort verflüchtigt sich der parteiische, gar unlogische oder ungerechte Charakter ihrer Weltsicht, dort bleibt der harmlose Rauch altbekannter Wahrheiten, mit denen nur Dummköpfe oder Wahnsinnige hadern können.
Ja. Und wenn der Chinese eine neue Ideologie ist?
Wie ein farbloses, geruchloses Gas durchdringt er unser Leben, ist überall, harmlos, nett, ein kleiner Chinese halt. In Afrika ist es gelungen (siehe Post "Chinesischer Hut"), jetzt ist es in Europa soweit - wir nehmen sie wahr, aber sie haben sich verflüchtigt, sind harmloser Rauch
geworden. Deshalb wundert uns nicht, dass sie immer mehr sind. Wo sind sie aber? Wo sind ihre Kinder? Woher kamen sie? Vor ein paar Jahren mieteten sich die Chinesen einen großen Raum in der Wilmersdorfer Strasse, nah am Adenauer Platz und verkauften dort Porzellan. Hunderte von Chinesen verkauften tausende von Porzellangegenstände. Der Raum wurde in Boxen aufgeteilt, in jeder kleinen Box standen fünf oder sieben junge Menschen, meistens Männer. Nach ein paar Wochen wurde das Geschäft abgewickelt, in der Presse gab es dann Gerüchte, dass fast alle Verkäufer um Asyl baten. Ähnlich war es mit einem chinesischen Zirkus (oder war es ein Orchester?). Es kamen 350 Menschen (oder so), nach China kehrten lediglich sieben zurück. Waren sie es, die Chinesen, die heute immer neue Asia-Shops und Asia-Imbisse aufmachen? Vorposten? Teile einer lang aufgelegten Strategie, die niemand zu erkoren vermochte? Und jetzt sind sie einfach da. Anwesenheit als erster Schritt in die Zukunft.

Noch ein guter Mensch aus Sichuan

Ja, diesmal wir der Provinzname so geschrieben - "Sichuan" und nicht, wie es in Wikipedia heißt "Sezuan". Ziemlich unwichtig, es ist eh nur eine Transkription des chinesischen Name und dem werden wir mit unserer europäischen Zungen nie gerecht. Noch einen guten Mensch aus Sechuan fand ich im Spiegel-online, gedruckt war es im SPIEGEL special 5/2004 vom 16.11.2004, Seite 113.

Es ist die Geschichte eines Lehrers aus Chengdu, in der Provinz Sichuan, der in 30 Jahren einen unglaublichen Aufstieg vollbrachte. Von einem Dorflehrer, der hier in der Mao-Zeiten als Intelektuelle verbannt wurde zu dem reichsten Mann Chinas. Der Spiegel berichtet, dass: Liu Yonghao, 52, leitet ein Firmenkonglomerat von über 90 Betrieben mit über 15 000 Angestellten. Zu seinem Imperium gehören Futtermittelfabriken und Molkereien, Chemieanlagen und Elektrizitätswerke. In Shanghai, Dalian und Chengdu baut Liu Wohnblocks und Bürotürme, er berät Investoren und besitzt zwölf Prozent von Chinas erstem privatem Geldinstitut. Und trotzdem ist er ein guter Mensch. Also Brecht war im Unrecht, als er bei seinem guten Mensch aus Sichuan behauptete, die Götter wollen es so, dass der Mensch ungut ist, und wenn er zufälligerweise sich doch bemüht, gut zu werden, wird er auf sich selbst gestellt und keine Hilfe bekommen. Liu Yonghao hat Geld gemacht, genauso wie es sich im brechtsschen Stück abspielte, und blieb trotzdem bescheiden und gut. Liu fährt einen bescheiden Wagen und gibt sich als patriotischer Unternehmer mit Gemeinsinn: Armen Bauern an der Grenze nach Tibet schenkte er eine Molkerei. Zusammen mit Geschäftsfreunden finanzierte er Entwicklungsprojekte in der rückständigen Westregion Xinjiang und schuf damit Tausende Arbeitsplätze. Seine Mitarbeiter preisen ihn als umgänglichen Chef, der am Wochenende mit ihnen Tischtennis spielt: Liu - der gute Mensch von Sichuan.
Übrigens auf dem Foto sieht man den guten Liu als Ehrendoktor eines Kantoner Universität.
Es ist eine Karierre, die gerade für neue China beispielhaft ist.
Die Geschichte vom Aufstieg des armen Lehrers Liu zum Yuan-Milliardär verkörpert den radikalen Umbau Chinas von Klassenkampf und Planwirtschaft zum "Sozialismus mit chinesischen Kennzeichen" - worunter Peking die Kombination aus Kapitalismus und kommunistischer Einparteienherrschaft versteht. Es ist ein System, in dem die Gunst der Obrigkeit erworben werden muss und in dem Interessen lokaler Seilschaften oft mehr Gewicht haben als Recht und Gesetz. Wer die Grundregeln der "Guanxi" - Beziehungen - verletzt oder sich prahlerisch in den Vordergrund spielt, riskiert den schnellen Absturz.

Daher ist eben der gute Liu ein guter Liu.
Die Menschen sind nicht gut. Brecht hat sich nicht geirrt. Sie sind nur fähig, sich anzupassen und zu arrangieren. Was ist gut dabei?

Dienstag, 23. September 2008

Des Kaisers Nachtigall, Turandot und Der gute Mensch aus Sezuan

Für die Europäer war China lange Zeit eine gute Location für eine aufbauende Geschichte, eine sehr gute sogar, weil kaum jemand tatsächlich in China gewesen ist, man munkelt sogar, dass Marco Polo nie dorthin gelang. Man konnte über das Land alle mögliche Märchen erzählen. Mindestens drei solche Geschichten sind bis heute sehr gut bekannt: Des Kaisers Nachtigall, Turandot und Der gute Mensch aus Sezuan.

Des Kaisers Nachtigall
von Hans Christian Andersen ist eine
Geschichte vom kranken Kaiser, der durch den Gesang einer Nachtigall wieder gesund wird

Turandot, ein tragikomisches Märchen, wurde von dem Venezianer Carlo Gozzi geschrieben. Die Uraufführung fand am 22. Januar 1762 in Venedig, statt. Bekannte Nachdichtungen stammen von Friedrich Schiller (Turandot, Prinzessin von China), Karl Gustav Vollmoeller (Turandot - Chinesisches Märchenspiel) und Wolfgang Hildesheimer (Das Märchen von Prinzessin Turandot). Bertolt Brecht hinterließ bei seinem Tod das Fragment eines Theaterstücks Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher. Von Giacomo Puccini und Ferruccio Busoni existiert jeweils eine gleichnamige Oper sowie von Ferdinand Thieriot eine Ouvertüre mit diesem Titel.

Der gute Mensch von Sezuan wurde von Bertolt Brecht in den Jahren 1938 bis 1940 geschrieben, als er sich in Emigration befand. Die erste Aufführung fand im Februar des Jahres 1943 in Zürich statt.


Im Andersens Märchen ist die Märchenwelt vollkommen in Ordnung.
"D
as Schloß des Kaisers von China war das prächtigste in der Welt," schrieb Hans Christian Andersen, "durch und durch von feinem Porzellan. Im Garten sah man die herrlichsten und merkwürdigsten Blumen und an den allerprächtigsten waren silberne Glocken befestigt, die fortwährend tönten, damit man nicht vorüberginge, ohne die Blumen zu bemerken. Alles war in des Kaisers Garten auf das Geschmackvollste und Kunstreichste ausgegrübelt und er erstreckte sich so weit, daß selbst der Gärtner das Ende desselben nicht kannte."

In Turandot gibt es
das Märchenhafte nicht mehr. Die Oper ist ziemlich grausam, musikalisch gesehen - sehr modern, und China ist eine schreckliche Welt, durchdrungen von der Atmosphäre unfassbaren Terrors. Obwohl... am Ende siegt die Liebe, und das Libretto ist nicht von der subtilen Ironie frei: drei kaiserlichen Beamten heißen nämlich Ping, Pang und Pong...

Bei Brecht gibt es eigentlich kein China, es ist eine Parabel, in der ein Mensch unmöglich gut sein kann. Er ist regelrecht dazu gezwungen, die Mitmenschen zu betrügen, auszubeuten und zu verachten. Es kann aber auch anders sein. Sezuan wurde im Mai dieses Jahres vom schrecklichen Erdbeben heimgesucht,
das über 50 Millionen Menschen obdachlos gemacht hat. Aus Cheng Du in der Provinz Sezuan stammt Zheng Jie, ein chinesischer Tennis-Star, Siegerin in French Open 2004, bei den Australian Open und in Wimbledon 2008. Nach dem Sieg in Wimbledon in Juli 2008 wurde Zheng Jie von den Medien "ein guter Mensch aus Sezuan genannt", weil sie das gesamte Preisgeld - 187.500 Pfund (235.250 Euro) für die Erdbebenopfer spendierte.

Werden sie noch gelesen, gespielt, gesehen? Das Märchen, die Oper und das Theaterstück? Das Märchen - möglich, obwohl, wer liest noch den Kindern etwas vor? Gott sei Dank, man kann im Internet eine Videokassette bestellen. Die Oper - sicher, gerade vor 10 Tagen feierte man in der Berliner Oper die neue Premiere von Turandot. Aber das Stück? Es kommt höchstens in einem Off-Theater in Kreuzberg auf die Bretter oder, wie man es auf dem Foto sieht, auf die Matte. „Der größte Dramatiker des 20. Jahrhunderts“, wie Marcel Reich-Ranicki den Autor nannte, sei heutzutage in Deutschland wenig bekannt, entsprechend der Interpretation einer repräsentativen Studie zum 50. Todestag. 55 % hatten nur in der Schulzeit Kontakt mit Brechts Werk, in diesem oder im vorigen Jahr haben nur 2 % etwas davon gelesen. 42 % - haben das noch nie oder erinnern sich nicht daran. Der Suhrkamp-Verlag erwiderte: „Welcher deutsche Autor wird heute noch 300.000-mal im Jahr verkauft?“ Der Brecht wird also gekauft und mit gewisser Sicherheit zitiert, ob er gelesen wird bleibt weiterhin fraglich.



Der Chinese nebanan und Asia-Shops


Asia-Shops sind normal. Sogar ich muss zugeben, dass sie normal sind. Auch chinesische Kneipen gehören seit eh dem gewöhnlichen europäischen Stadtbild. Etwas neu stellen sie zwar in Polen dar, weil es sie erst seit ca. 10 Jahren in polnischen Städten gibt, aber auch dies lässt sich nicht als" meine" (vermeintliche) Eroberung Europas deuten. Kneipen sind halt Kneipen. Griechisch, Italienisch, Polnisch... egal. Auch wenn es in Berlin viel mehr polnische Kneipen gegeben hätte als sie es jetzt gibt, wäre es noch kein Zeichen, dass die Polen im Begriff sind, Deutschland zu übernehmen. Der Chinese nebenan gehört also zur Normalität.Interessant ist nur, dass er aus seinen kitschig eingerichteten Interieurs letztens massiv nach außen gekommen ist. Aber auch hier bleibt es noch im Rahmen der Normalität. Schließlich ist Kebab eine typische Berliner Spezialität, die jeder Touri unbedingt essen muss, und weiterhin kein Dominanzzeichen. Nur, dass es in Berlin auch Türken gibt, sie sind halt die größte ausländische Minderheit hier, und die Chinesen sind in der Statistiken unter "andere nationale und ethnische Minderheiten" erfasst. Und trotzdem gibt es ganz viele chinesische Imbisse in der Stadt. Interessant.

Chinesische Gegenstände II






















Bevor ich mich weiter auf die Suche nach das Chinesische in unserem Alltag begebe, möchte ich zuerst die chinesischen Gegenstände erwähnen, die wir gerade deshalb kaufen, weil sie chinesisch sind. Vor allem Porzellan und Teeutensilien. Sie waren schön, exotisch und luxuriös. Wir kauften sie gerade, weil sie so waren und wir taten es lange bevor die Chinesen angefangen haben unserern Alltag zu erobern, eigentlich schon in 18. Jahrhundert.

Montag, 22. September 2008

Vorbei

Ich schwieg sehr lang. Ich weiß. Ich hatte aber keine Lust über Chinesen zu schreiben, als alle es taten. Jetzt sind die Olympiaspiele vorbei, und alles verlief so, wie es zu voraussehen war. Hie und da mekerte man, dass China eine Diktatur, Tibet unterdrückt und es eigentlich unpassend ist, sich zu begeistern, aber... wir können nicht umhin gehen, die Organisation der Spiele zu bewundern. Und China ist eine Großmacht. Und die Weltwirtschaft kann ohne China ganichts mehr. Und so weiter. Ich fühle mich sehr einsam mit meinem Gedanken, dass wir das alles in ein paar Jahren sehr bereuen werden. So wie man bereut hatte, dass man Hitlers Deutschland nicht ernst nahm, als in Berlin die Olympiaspiele durchaus professionell organisiert wurden. Ich vermute, die Zeiten als man den Prozess noch anhalten konnte sind nun vorbei.

Die Spiele waren nur der letzte Tropfen. Wir haben es alles mit eigenen Augen gesehen, die Inszenierung, die Menschenrechteverletzung, die Gigantomanie, die nationale Hysterie. Wir haben es selbst gesehen, dass Ende Juli 2008 China - mit Genehmigung des IOC! - eine freie Internetrecherche im Olympia-Pressezentrum verhinderte. Und? Nix und. Wir haben sehr lash reagiert, genauso wie wir ohne Munkeln hingenommen haben, dass wegen Bauvorhaben im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Peking 1,5 Millionen Menschen zwangsweise umgesiedelt wurden. Wir haben zugesehen, wie der Fackellauf mit einem riesigen Aufgebot schwerbewaffneter Polizisten in ganz Europa abgeschirmt wurde.
Wir haben uns ausgeliefert. Man munkelt, dass in China schon jetzt genug Geld ist, um ganz Deutschland einzukaufen. Und es reicht. Es reichen gefälschte Tonsoldaten. Man gewinnt doch jetzt neue Länder nicht durch Kriege, sondern durch Wirtschaft. Wie BRD eben die DDR gekauft hat.

Ein Antiquariat leistete mehr Widerstand als die ganze Politik.