Mittwoch, 24. September 2008

Unkenrufe

1992 erschien ein neuer Roman von Günter Grass - "Unkenrufe". Der Titel bedeutet pessimistische, unheilsverkündende Kritik und ist eine leicht verdeckte science-fiction Story über die Vertreibung und Versöhnung, die im Herbst 1989 beginnt. Die Geschichte entwickelt sich aber anders als es in der Wirklichkeit geschah. Es entsteht ein gutmutiger Projekt einen Versöhnungsfriedhof für Polen und Deutsche zu gründen. Und, wie es immer ist, artet das Gutmutige in sein Gegenteil um. Von einem versöhnlichen Projekt ausgehend, beginnt die totale Übernahme der Stadt Gdansk von den Deutschen. Am Ende ist sie wieder Danzig. Das hat Grass mit den Unkenrufe gemeint. Es war eine Warnung, eine Mahnung an die Deutschen und an die Polen, dass man mit den gesten, die Geschichte machen können, recht sorgsam umgehen soll, weil die Geschichte eine sehr delikate Materie ist. Nur als komischer Nebenstrang der Erzählung entwickelt Grass eine Hypothese, dass die Hindus in Gdansk Fuß fassen werden. Parallel zu Übernahme der Stadt durch die Deutschen entwickelt sich wirtschaftlicher Aufstieg der indischer Minderheit, der mit einer Fahrradrikscha begonnen hat.

Als ich das Buch gelesen habe, entstand in Zoppot der erste chinesische Restaurant. Und ich dachte mir damals, ah ja, der Grass hat hier seiner Liebe zu Indien kund getan, aber er irrt sich - es werden die Chinesen kommen und nicht die Inder. Es waren aber keine Unkenrufe meinerseits. Ich dachte mir auch nichts besonderes dabei. Meines Erachtens war es ein Zeichen der europäischer Normalität. In einem normal funktionierendem Staat vermischen sich halt die Kulturen, und es ist gut so.


Erst jetzt frage ich mich, weshalb ich so blind war? Weshalb wir so blind waren?

Als ich vor ein paar Stunden den Post "Arbeitskräfte" geschrieben habe, stieß ich an eine Straßenumbenennung in Gorzów Wielkopolski (ehemals Landsberg an der Warthe - die Stadt, wo Christa Wolf geboren war). Ulica Zeliwna wurde in Ulica Złotego Smoka (Straße des Goldenen Drachen) umbenannt. Dabei fand ich in Warszawa eine ganze Siedlung, die nur symbolische Chinesischen Namen hat. Es ist halt gut so, oder?
Die Kulturen vermischen sich.

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