Dienstag, 23. September 2008

Des Kaisers Nachtigall, Turandot und Der gute Mensch aus Sezuan

Für die Europäer war China lange Zeit eine gute Location für eine aufbauende Geschichte, eine sehr gute sogar, weil kaum jemand tatsächlich in China gewesen ist, man munkelt sogar, dass Marco Polo nie dorthin gelang. Man konnte über das Land alle mögliche Märchen erzählen. Mindestens drei solche Geschichten sind bis heute sehr gut bekannt: Des Kaisers Nachtigall, Turandot und Der gute Mensch aus Sezuan.

Des Kaisers Nachtigall
von Hans Christian Andersen ist eine
Geschichte vom kranken Kaiser, der durch den Gesang einer Nachtigall wieder gesund wird

Turandot, ein tragikomisches Märchen, wurde von dem Venezianer Carlo Gozzi geschrieben. Die Uraufführung fand am 22. Januar 1762 in Venedig, statt. Bekannte Nachdichtungen stammen von Friedrich Schiller (Turandot, Prinzessin von China), Karl Gustav Vollmoeller (Turandot - Chinesisches Märchenspiel) und Wolfgang Hildesheimer (Das Märchen von Prinzessin Turandot). Bertolt Brecht hinterließ bei seinem Tod das Fragment eines Theaterstücks Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher. Von Giacomo Puccini und Ferruccio Busoni existiert jeweils eine gleichnamige Oper sowie von Ferdinand Thieriot eine Ouvertüre mit diesem Titel.

Der gute Mensch von Sezuan wurde von Bertolt Brecht in den Jahren 1938 bis 1940 geschrieben, als er sich in Emigration befand. Die erste Aufführung fand im Februar des Jahres 1943 in Zürich statt.


Im Andersens Märchen ist die Märchenwelt vollkommen in Ordnung.
"D
as Schloß des Kaisers von China war das prächtigste in der Welt," schrieb Hans Christian Andersen, "durch und durch von feinem Porzellan. Im Garten sah man die herrlichsten und merkwürdigsten Blumen und an den allerprächtigsten waren silberne Glocken befestigt, die fortwährend tönten, damit man nicht vorüberginge, ohne die Blumen zu bemerken. Alles war in des Kaisers Garten auf das Geschmackvollste und Kunstreichste ausgegrübelt und er erstreckte sich so weit, daß selbst der Gärtner das Ende desselben nicht kannte."

In Turandot gibt es
das Märchenhafte nicht mehr. Die Oper ist ziemlich grausam, musikalisch gesehen - sehr modern, und China ist eine schreckliche Welt, durchdrungen von der Atmosphäre unfassbaren Terrors. Obwohl... am Ende siegt die Liebe, und das Libretto ist nicht von der subtilen Ironie frei: drei kaiserlichen Beamten heißen nämlich Ping, Pang und Pong...

Bei Brecht gibt es eigentlich kein China, es ist eine Parabel, in der ein Mensch unmöglich gut sein kann. Er ist regelrecht dazu gezwungen, die Mitmenschen zu betrügen, auszubeuten und zu verachten. Es kann aber auch anders sein. Sezuan wurde im Mai dieses Jahres vom schrecklichen Erdbeben heimgesucht,
das über 50 Millionen Menschen obdachlos gemacht hat. Aus Cheng Du in der Provinz Sezuan stammt Zheng Jie, ein chinesischer Tennis-Star, Siegerin in French Open 2004, bei den Australian Open und in Wimbledon 2008. Nach dem Sieg in Wimbledon in Juli 2008 wurde Zheng Jie von den Medien "ein guter Mensch aus Sezuan genannt", weil sie das gesamte Preisgeld - 187.500 Pfund (235.250 Euro) für die Erdbebenopfer spendierte.

Werden sie noch gelesen, gespielt, gesehen? Das Märchen, die Oper und das Theaterstück? Das Märchen - möglich, obwohl, wer liest noch den Kindern etwas vor? Gott sei Dank, man kann im Internet eine Videokassette bestellen. Die Oper - sicher, gerade vor 10 Tagen feierte man in der Berliner Oper die neue Premiere von Turandot. Aber das Stück? Es kommt höchstens in einem Off-Theater in Kreuzberg auf die Bretter oder, wie man es auf dem Foto sieht, auf die Matte. „Der größte Dramatiker des 20. Jahrhunderts“, wie Marcel Reich-Ranicki den Autor nannte, sei heutzutage in Deutschland wenig bekannt, entsprechend der Interpretation einer repräsentativen Studie zum 50. Todestag. 55 % hatten nur in der Schulzeit Kontakt mit Brechts Werk, in diesem oder im vorigen Jahr haben nur 2 % etwas davon gelesen. 42 % - haben das noch nie oder erinnern sich nicht daran. Der Suhrkamp-Verlag erwiderte: „Welcher deutsche Autor wird heute noch 300.000-mal im Jahr verkauft?“ Der Brecht wird also gekauft und mit gewisser Sicherheit zitiert, ob er gelesen wird bleibt weiterhin fraglich.



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