Montag, 21. Juli 2008

Mahjong

Seit eh spielten wir immer Mahjong. Als ich Kind war, spielten die Erwachsenen, und wir, die schon erwähnten vier Mädchen (siehe Post: "Die fünf Brüder Li") schauten nur neidisch zu. Das Spiel war wunderschön, schon von Aussehen her mutete es zum Ästhetischen zu. Jeder hölzerne, mit Elfenbeinimitat belegte Stein war ein Kunststück in sich: Delikate, präzise Zeichnungen von Blumen, Vögel, Drachen, Landschaften, chinesische Schriftypes. Aber das Clou waren die Namen der Steinesets, die man auslegen sollte: Mond übers Wasser, Sammeln der Pflaumenblüten vom Dach, Lilie im Tal... Irgendwann, in den 70., als der Großonkel und die Großtante nicht mehr lebten, hörten die Erwachsenen auf, den Mahjong zu spielen.
Ich war die glückliche Fortsetzerin der Tradition. Man hat mir das Spiel gegeben und ich brachte es meinem Mann und unseren Freunden bei. Wir waren zwei jung verheiratete Paare mit kleinen Kindern, und wenn unser Sohn eingeschlafen war, nahmen wir das Spiel und gingen um die Ecke zu Malgosia und Leszek. Das besondere bei Malgosia und Leszek war, dass sie Konditoreibesitzer waren und servierten zum Spiel den Käsekuchen und eine Art polnischer Stollen, "Keks" genannt. Wir assen (und es machte nicht dick), wir spielten (und es war keine Zeitverschwendung) und wir diskutierten über die Politik (und es hat uns weiter gebracht, zur Solidarność, Kriegsrecht, Untergrundtätigkeit und Emmigration nach Berlin). Insgesamt waren es echt schöne Zeiten, vielleicht auch deshalb, dass wir jung waren, und alles noch vor uns lag wie ein weites viel versprechendes Feld. In Berlin versuchten wir die Spieltradition noch zu beleben, aber es klappte nicht. Kein Mensch hatte Zeit stundenlang zu spielen, vom Kuchen wurden alle dick (nur ich nicht :-) und die Politik kam über uns alle wie eine Teigrolle, machte uns platt und brachte uns 10 Jahre später den Mauerfall, dann Frustration und jetzt auch Globalisierung und die Chinesische Gefahr, die niemand so richtig als Gefahr wahr nimmt.
Den Mahjong spiele ich jetzt alleine. Mit dem Computer. Aber es ist nicht dasselbe.

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